Anmerkungen (22.11.1912)

Aus Potsdam-Chronik
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Vereinigung Berliner Architekten

Um das Interesse weiterer Kreise auf die fortschreitende Zerstörung des eigenartigen harmonischen Stadtbildes von Potsdam zu lenken, veranstaltete die „Vereinigung“ am 22. November 1912 im Hörsaale des Kgl. Kunstgewerbe-Museums einen Vortragsabend. Hr. Arch. Karl Ed. Bangert wies in seinem Vortrag zunächst auf den schweren Existenzkampf hin, den die Bevölkerung Potsdams von jeher führen mußte, da wegen der Nähe der Reichshauptstadt Handel und Wandel niemals emporblühen konnten. In verschiedenen Eingaben der Bürgerschaft und des Magistrates der Stadt Potsdam von 1800 und 1809 wird geklagt, daß „die Gewerke verarmt seien, das Armenhaus sei nicht mehr aufnahmefähig, der Lombard überfüllt“, und „wir kennen kein Mittel, wie dieser zur Bettlerstadt herabgesunkenen Residenz ohne ganz besondere Aufopferungen der Regierung ihre Existenz gesichert werden soll.“

Noch im Jahre 1816 waren unter 17000 Einwohnern 6000 Arme. Diese Armut stand in einem krassen Gegensatz zu dem Prachtgewand der Bürgerhäuser, das der kunstsinnige große König den Residenzbewohnern geschenkt hatte und an dem Niemand ohne behördliche Genehmigung rütteln durfte. Da der Stadt durch Handel und Industrie nicht zu helfen war, so konnte der damaligen Not nur durch Ausbildung der Stadt zur Beamtenstadt gesteuert werden.

An dem allgemeinen Aufschwung nach dem Kriege von 1870/71 nahm auch Potsdam teil. Die Stadt dehnte sich aus und es trat ein bescheidener Wohlstand ein. Die Besitzer der alten Häuser waren bedacht, dem Wettbewerb der neugebauten Häuser in den Vorstädten zu begegnen, doch die einst luxuriösen Grundrisse der Häuser waren zu eng geworden. Zuerst schüchtern und mit einer gewissen Achtung für das Bestehende, dann aber immer ungenier-ter und rücksichtsloser gingen die in ihrer Lage nicht zu beneidenden Hauswirte der alten Königsstadt zu Leibe. Hier wurde ein Balkon vorgestreckt, dort ein Laden ausgebrochen, hier eine Mansarde, ein Stockwerk aufgebaut - und bald war das harmonische Straßenbild zerstört. Die Schuld hieran trägt der rasende Aufstieg Berlins, das seine schlechten baulichen Instinkte in die Provinz trage, denn wie Potsdam, ergehe es allen kleinen Städten in der Mark mit gleichmäßiger niedriger Bebauung. Bei der Nachahmung der Berliner Reklamebauten übersahen jedoch die Potsdamer Geschäftsleute, daß das für Berlin Zwecknotwendige noch lange nicht für Potsdam unerläßlich sei. Schon beginnt jetzt selbst in Berlin eine leise Reaktion einzusetzen, die von einer gesetzteren bürgerlichen Baukunst ausgeht und der Einsicht zu verdanken ist, daß die Spannung überschritten sei. Die Geschäfts-Eigenhäuser verzichten vielfach bereits auf die großen Spiegelscheiben im I. Obergeschoß, sie wirken durch die taktvoll ausgestattete Hausfront mehr als die anspruchsvollen Nachbarn.

Für Potsdam wäre es an der Zeit, auf diese Erscheinung zu achten und mit allen Mitteln dahin zu wirken, daß das Alte erhalten bleibt und das Neue sich harmonisch angliedert. Die alten Architekturen gestatten auch Eingriffe, die neuzeitliches Wohnen und neuzeitlicher Handel erfordern, ohne daß sie verunstaltet zu werden brauchen. Bei Anbringung der Reklameschilder wird in Potsdam ebenso gedankenlos verfahren. An zahlreichen Lichtbildern zeigte Redner die Zerstörungen, die der „moderne" Geschäftssinn dem reizenden Straßenbilde Potsdam zugefügt hat. Redner hält die Schaffung eines Ortstatutes allein nicht für ausreichend, weiteren Verunstaltungen vorzubeugen, er verspricht sich mehr von der Selbsthilfe. Aus der Bürgerschaft heraus müsse ein aufklärender Vorstoß gemacht und gegen das Manchestertum das Recht der ganzen Bürgerschaft am Stadtbilde zur Geltung gebracht werden; den Beteiligten müsse zum Bewußtsein kommen, daß das auf künstlerische Werte verwandte Kapital auch werbendes Kapital ist. Eine BauberatungssteIle würde bei diesen Bestrebungen von großem Nutzen sein.

Die gut besuchte Versammlung, zu der neben Mitgliedern sämtlicher Berliner Künstlervereine auch hohe Regierungsbeamte und städtische Beamte aus Potsdam erschienen waren, spendete Hrn. Bangert reichen Beifall und stimmte mit großer Mehrheit der nachstehenden, von dem Vorsitzenden, Hrn. Wolffenstein, eingebrachten Entschließung zu:

„Die Versammlung bedauert auf das lebhafteste die Verunstaltungen an zahlreichen Gebäuden der Stadt Potsdam durch Um- und Ausbauten ohne Rücksicht auf ihre wertvolle Architektur, sowie durch störende Anbringung von Reklameschildern. Selbst bei voller Rücksichtnahme auf die kommerzielle Entwicklung der Stadt und auf das Eigentumsrecht ihrer Einwohner müßten die städtischen Körperschaften von Potsdam gemeinschaftlich mit der Bürgerschaft durch Sonderbestimmungen in dem vorbereiteten Ortsstatut gegen Verunstaltung Sorge tragen für die Erhaltung des einzigartigen Stadtbildes. Hierzu empfiehlt sich u. a. die Hinzuziehung eines künstlerisch geschulten Sachverständigen-Beirates bei Anwendung des Ortsstatutes, ferner die Publikation bildlicher Darstellungen von hervorragenden Gebäuden in ihrem ursprünglichen Zustande sowie nach erfolgtem Umbau als Beispiel und Gegenbeispiel. Das Interesse für diese Angelegenheit müßte in weite Kreise getragen werden, damit die Bemühungen, die historische Eigenart der Stadt Potsdam mit ihren hervorragenden Architekturen der Nachwelt zu erhalten, nachdrückliche Unterstützung finden“. – a –


Deutsche Bauzeitung Nr. 3/1913, S. 21 f.


Anmerkungen

Bangert, Karl Eduard Architekt, geb. 08. Mai 1872 in Krefeld, Todesdatum unbekannt. Mitglied im Bund Deutscher Architekten. Zahlreiche Wohnhäuser in Berlin sind von ihm. Letztes bekanntes Projekt: 1947, Korbach, Jüdischer Friedhof, Gedenkstein für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus.

Wolffenstein, Richard Architekt, Partner im Architekturbüro Cremer & Wolffenstein in Berlin.

- a - Vermutlich Abkürzung für Albert Hofmann, Chefredakteur und Mitherausgeber der Deutschen Bauzeitung.