Grieser

Aus Potsdam-Chronik
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Bey gedachten Arkaden um diese Kirche bekam ein aus Stargard gebürtiger Maurer, Namens Grieser, der auf königlichen Befehl das hiesige Meisterrecht erhalten hatte, die erste Arbeit. Die Geschichte seines sechsjährigen Hierseyns ist mir so auffallend und rührend gewesen, daß ich nicht umhin kann, solche allhier mit einzuschalten.

Dieser Grieser war während seiner Wanderschaft unter andern auch nach Koppenhagen gekommen, und hatte daselbst Arbeit erhalten. Durch Geschicklichkeit erwarb er sich bald die Stelle eines Poliers, und heurathete eine Frau aus Jüttland mit einigem Vermögen, durch die er Vater von 6 Kindern ward. Ungeachtet er nun zwar als Polier ungleich mehr verdiente, als es hier ein solcher bringen kann, so wünschte er doch auch das Meisterrecht zu erhalten, damit er für sich selbst arbeiten, Gesellen halten und seine Familie um so besser erziehen könnte. Er meldete sich deswegen, und die Koppenhagener Meister schlugen es ihm nicht ab, wenn er wie gewöhnlich seinen Lehrbrief beibrächte, und das Meisterstück machte. Auf seine Schreiben nach Stargard wegen Uebersendung seines Lehrbriefes, erhielt er solchen nicht, weil nach Königlichen Befehlen kein Handwerker außer Landes gehen sollte, und ihm deswegen der Lehrbrief vorenthalten wurde. Grieser glaubte es am besten zu machen, wenn er in Person nach Potsdam reisete, und den König um Aushändigung dieses ihm nach seinen damaligen Umständen zu Erreichung eines bessern Glücks unentbehrlichen Lehrbriefs bäte. Er that es; die Königliche Antwort aber war: Es gäbe genug in Potsdam zu thun, er sollte sich da Etabliren und das Meisterrecht umsonst haben.

Dieses Königliche Anerbieten, und die vor Augen sehenden vielen Baue brachten Griesern zum Entschluß solches anzunehmen und seine Familie nachkommen zu lassen. Er machte getrost den Anfang mit der ihm zugetheilten Arbeit, und um sich durch die geschwinde Ausführung derselben auszuzeichnen, suchte er viele Gesellen zu bekommen, denen er aber ein weit größeres Lohn geben mußte, als gewöhnlich war. Er suchte sie überdies durch Geschenke an Wein, Bier und Brantewein zu mehrerm Fleiße zu ermuntern, und bewirthete auch die Aufseher und seine nunmehrige Mitmeister. Allein eines Theils hatte er als ein Neuling nur den Ausschuß von Gesellen nehmen müssen, die sich wenig um seinen Vortheil bekümmerten, und andern Theils suchten ihn die andern Meister, statt Verhaltungsregeln nach hiesigen Einrichtungen zu geben, die er von ihnen zu erforschen suchte, vielmehr irre zu führen, damit sie ihn wieder los würden.

Und so kam es ganz natürlich, daß, als der erste Winter den Arbeiten Stillstand gebot, er auch kein Geld mehr hatte. da er jedoch allein war, und sich genau zu behelfen wußte, so ging dieser Winter vorüber, und der Frühling, mit selbigem aber neues Bauen und neues Geldeinnehmen ging an. Inzwischen hatte sich seine Familie auf die Reise gemacht, und langte das andere Jahr allhier an, hatte aber alles das Ihrige unterwegs verzehrt. Es ging also mit Griesers Haushaltung schon ein ganz Theil schlechter, als ehemals in Koppenhagen. Der älteste Sohn hatte zwar die Goldschmidtskunst gelernet, und ging als Geselle nach Braunschweig in Arbeit, die älteste Tochter aber brachte der Vater nach Berlin in Dienste, folglich behielt er nur drey Kinder bey sich, und brachte sich mit denselben durcg, bis 1756 der siebenjährige Krieg anging, und die Arbeit ein Ende nahm.

Bald darauf fing sich denn auch ein weit größeres Elend dieser Familie an, als sie jemals in Dänemark hätte erwarten können. Die Mutter hatte noch nicht genug deutsch und solche Frauensarbeiten gelernet, als hier im Gange sind,daher hatte sie solche auch ihre Kinder nicht lehren können, und folglich waren sie nicht fähig, sich etwa durch Wollespinnen, Nähen ec. eine sparsame Einnahme zu erwerben. Allein nicht genug! beides Grieser und seine Frau fielen in eine Krankheit, die aus Mangel der Pflege und Nahrung immer mehr zu- als abnehmen mußte; auch die älteste bey sich habende Tochter ward krank, und die jüngsten beiden Kinder, die von Hunger entkräftet waren, gingen endlich betteln. Niemand hatte vorher von den so äußerst elenden Umständen dieser armen Leute gewußt, weil sie entweder zu wenig dreist gewesen, sich dieserwegen an Bekannte zu wenden, oder weil sie die Krankheit abgehalten hatte, bis es endlich durch das Betteln dieser beiden Kinder, unter andern auch in dem Hause, wo dazumal der Landsbaumeister Büring wohnte, bekannt wurde, und wo auch ich es erfuhr.

Ich ging nach ihrer Wohnung; aber ich bin nicht im Stande das zu schildern, was ich antraf; denn es übertraf alle meine Vorstellungen. - Kein Bette und kein anderes Hausgeräthe, ein kümmerlich Strohlager mit zwey Kranken, ein irdener Teller und blecherner Löffel, das war Ihr Alles. - Die Frau rang mit dem Tode, und der Mann suchte sich noch mit Kleye, worauf Wasser gegossen war, zu laben. Die Hülfe kam hier zu späte, beide Eheleute starben bald hintereinander.

Von den drey Kindern nahm beide Töchter, Demuth und Charlotte, die würdige und menschenfreundliche Frau des Landsbaumeister Büring zu sich, ließ sie reinigen, kleiden und heilen, denn sie waren von einer Art Skorbut angegriffen. Der jüngste Sohn Gabriel, ungefähr zehn Jahr alt, hatte einen muntern verschlagenen Kopf, und bey seinem beständigen Umherwandeln auf den Straßen des Bettelns halber, auch ziemlich gesund, ward mir zu Theil. ich ließ ihn im Schreiben, Rechnen, der französischen Sprache und andern Wissenschaften unterrichten, kleidete ihn, und bezahlte für ihn in einem Speisehause das Essen, weil ich noch keine eigene Wirthschaft hatte. Ich hoffte von seiner Fähigkeit vieles, aber das Betteln in seiner Jugend hing ihm auch noch nach Jahren so an, daß, wenn ihm eine besondere Lust etwas zu essen oder zu trinken ankam, er sich dessen noch nicht schämte.

Ich brachte ihn endlich bey einem Maurermeister in die Lehre, wo er auch seine Jahre aushielt, Geselle ward, und endlich das gewöhnliche Wandern antrat. Bey seinem Abschiede von mir äußerte er sich, daß er vorzüglich nach Braunschweig, Hamburg und Koppenhagen gehen wollte. Ich warnte ihn für die Seelenverköoper an letztern beiden Orten; er muß sich aber doch nicht genugsam gehütet haben, denn vor 12 Jahren vermeldete er mir aus Colombo auf der Insel Ceylon, daß er zu Hamburg in die Schlingen dieser Leute gefallen, und nach Holland und sodann nach Ostindien wäre hingebracht worden; er befände sich aber daselbst wegen seiner erlernten Profession sehr leidlich.

Diese Ausschweifung gehöret zwar nicht zu meinem eigentlichen Zweck, ich hoffe aber Verzeihung, solche hier eingerückt zu haben, wenn ich mich erkläre, daß es hauptsächlich darum geschehen, um von irgend einem der Staatswirthschaft Kundigen meinen bisherigen Zweifel erörtert zu sehen: ob es dem allgemeinen Staatsinteresse zuträglich, und der Menschenliebe gemäß sey, die Auswanderung aller eingebohrnen Künstler und Handwerker allgemein.